Offene Ateliers im Göttinger
Land 2018
Die 11. Offenen Ateliers im Göttinger Land
finden an den Wochenenden 8./9. und 15./16. September - jeweils 14 -18 Uhr - statt.
An beiden Wochenenden werden Künstler und Kunsthandwerker der Region
insgesamt ihre Ateliers und Werkstätten öffnen. Sie gewähren einen Blick hinter die Kulissen und präsentieren sich an ihrem Arbeitsplatz. Der Weg durch die Kunstlandschaft führt dabei sowohl in
große Ateliers als auch in Privathäuser, die sonst nicht öffentlich zugänglich sind.
Organisiert werden die Offenen Ateliers vom Verein KulturRad. Der Verein möchte mit diesem Projekt den Blick auf die Vielfalt der Region lenken und den Dialog zwischen Kunstschaffenden und Bürgern fördern. Näheres unter www.offeneateliers.net
Ein Haus voller Bilder Vom Keller bis zum Boden, in Fluren und Treppen-aufgängen und im Garten, überall sind Gemälde und Collagen zu sehen. In nur zehn Jahren kreativer Malerei hat Helga Reimann mehr als 600 kleinere und auch große Bilder geschaffen. Im September wird sie ihre Galerie EigenART in Dransfeld für zwei Wochenenden öffnen. Zwischen Kochtopf und Computer findet die Hobby-künstlerin Zeit und Raum. Sie experimentiert seit 2005 mit Acrylfarben und allerlei Materialien. Selten gegenständlich, aber ausdruckstark in Farbe und Form, meist in warmen Tönen. Mit Kamera, Computer und Drucker erstellt sie Reproduktionen ihrer Malereien und Collagen, die passend gerahmt, kleine Kostbarkeiten werden.
Das Atelier EigenART Im Kampe 2 ist zu erreichen: auf dem Wege zum Dransberg –oberhalb des Sportplatzes- Weitere Informationen unter www.eigenartreimann.de Kontakt über hh.reimann@t-online.de
Ausstellung im Künstlerhaus Münden in der Speckstraße
vom 20. - 29. April 2018
Unter dem Thema
Espresso und .... mehr
werden Acrylmalerei und Collagen gezeigt.
Auf großflächigen XL - Leinwänden und in kleineren Serien verdeutlichen 35 Gestaltun-gen "fließenden Espresso in warmen Gefilden".
Zur Eröffnung am Freitag, dem 20.4. um 18 Uhr wird die Kulturjournalistin Tina Fibiger in die Ausstellung einführen. Bettina Kallausch spielt auf der Harfe.
„Espresso und mehr“ – Acrylmalerei und Collagen
Zur Ausstellungseröffnung mit den Arbeiten von Helga Reimann
Meine Damen und Herren, herzlich willkommen in dieser sonnig wärmenden Atmosphäre des Künstlerhauses!
Wie schön sie leuchtet, die farbige Welt, in die uns Helga Reimann mit ihren Arbeiten eintauchen lässt, wo es immer wieder goldgelb strahlt und glüht während sich ihre Bild- und Materialerzählungen entfalten und wunderbare Dinge zum Vorschein bringen. Da genügt manchmal bereits eine Prise Kaffee die, mit weiteren Zutaten vermischt, den Bildraum in eine bewegende Landschaft verwandelt oder eine Form umspielt, die dann Gestalt annehmen kann. Und wenn sie dann noch mit Sand vermischt wird, kleinen Steinen oder den Resten eines Scheuerlappens entwickeln alle Zutaten gemeinsam ein faszinierendes Eigenleben.
„Espresso und mehr“ hat Helga Reimann ihre Sammlung von Collagen und Acrylmalerei genannt. Dieses „und mehr“ hat es in sich, denn darin spiegelt sich die schöpferische Neugier und die Experimentierfreude der Künstlerin, die so gern in die Materialien hinein lauscht und was sie ihr alles erzählen.
Kaffee spielt dabei eine besondere Rolle, nur dass er hier natürlich nicht in gewohnter Weise aufbereitet wird, als Muntermacher für das Tagewerk oder als aromatischer und innerlich wärmender Genuss, sondern vor allem assoziativ kreativ. Wer weiß, ob Helga Reimann dabei nicht auch ein bisschen im Kaffeesatz gelesen hat. Die Vorstellung passt einfach zu schön in die Entstehungsgeschichten ihrer Arbeiten, wie sie die vielen Ideen und Bewegtheiten aus den Zutaten für ihre Collagen schöpft und deren allmähliche Verwandlung betreibt.
Wie anders reagiert eine dickflüssige Masse aus Kaffee und Sand auf Holzkleber als auf Acrylkleber. Wohin rieselt das Kaffepulver durch das Sieb hindurch? Wo bleibt es haften und markiert eine Fläche und wo dann doch nicht, um die Künstlerin nun vielleicht zu einer Farbbewegung anzustiften oder einer weiteren Markierung, die jetzt weiterer Zutaten bedarf ?
Man könnte sagen, Helga Reimann geht den Materialien auf den Grund, die sich jetzt in unterschiedlicher Zusammensetzung und Konsistenz für den Moment preisgegeben haben, Risse bilden und Verwerfungen, sich in ein irritierendes Hindernis verwandeln oder harmonisch ineinander übergleiten und im schöpferischen Prozess immer wieder anders Gestalt annehmen.
Die Künstlerin arbeitet ja nicht gegenständlich und trotzdem kommt es in ihren Bildräumen immer wieder zu diesen überraschenden Begegnungen, wo sich auch mit Wellpappe und Holz, einem Stück Mullbinde, Pflanzenresten oder eben einer Prise Kaffee ein Motiv konkret verdichten kann. Es sind immer noch Sand, Acrylfarben und Bindemittel, die nun den Betrachter auf eine assoziative Spur locken und staunen lassen.
Da lugt wirklich ein Vogelkopf aus einem wunderbar filigranen bizarren Geflecht hervor. Die Materialien nehmen die Gestalt schwebender Körper an und können auch als blühende Pflanze erscheinen nachdem Helga Reimann bei der Choreographie der Materialien den Bildraum einfach noch mit einem Farbelement kontrastieren wollte. Ich spreche hier auch deshalb von Choreographie, weil die Künstlerin im Prozess des Collagierens die Bewegung des Materials verfolgt und seine inspirierende Wirkung, ob es sie nun auf eine Form zutreibt, die sie gerne daraus ableiten möchte. Oder ob das Material jetzt eine besonders eigenwillige Wirkung behauptet, aneckt und aufstört und umso mehr neugierig macht auf seine besondere Konsistenz. So wie es eine scheinbar glatte Fläche vermag, die sich der schützenden glänzenden Lackschicht verweigert, und dabei kleine Figuren zeichnet, Kanten und Splitter und darin umso mehr fasziniert.
Manchmal denke ich bei Helga Reimanns Collagen auch an Partituren, die sie niederschreibt und sehr genau justiert. Das mag zunächst eine Melodieidee sein oder ein Rhythmus, den ein erstes Zeichen auf der sonnig leuchtenden Grundierung der Leinwand auslöst. Aber die Künstlerin schätzt neben dem Experimentieren mit festen, flüssigen, stabilen und porösen Stoffen eben auch das Strukturieren. Um beim Beispiel der Musik zu bleiben:
Es geht in ihren Arbeiten auch immer darum, dann das harmonische Geflecht auszutarieren und für jede Materialstimmung die passende Tonart zu entwickeln. Dabei kann es genauso zu klangvoll mehrstimmigen Akkordfolgen kommen wie zu dissonant anmutenden Klangbildern, die dann eben anders hellhörig machen für die Gesamtkomposition und ihre assoziativen Kräfte.
Man könnte bei Helga Reimanns schöpferischem Staunen mit so profanen Zutaten wie Kaffeesatz und Acrylfarben, kleinen Pappschachteln, Spachtel, Stoff- und Tapetenresten auch an ein Gedicht von Rilke denken. „Auf welches Lied sind wir gespannt und welcher Geiger hat uns in der Hand?“ Heinrich von Kleist kommt mir dabei ebenfalls in den Sinn mit seinen Betrachtungen „über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden.“ Das übersetze ich jetzt einfach mal frei: Über allmählichen Verfertigen eines Bildmotives beim Experimentieren mit den Zutaten und wie sie sich dabei verwandeln…
…zum Beispiel in eine dieser Gebirgslandschaften, ihr wild zerklüftetes Terrain und diese spannenden Reliefs, die sich an Schluchten und Hügelketten abzeichnen, wo Helga Reimann auch mal eine kaffeehaltige dichte Masse über die Leinwand gegossen und dann bearbeitet hat und manchmal schon eine Prise dieses schwarzen Pulvers die Wirkung belebt und bereichert. Aber wie gesagt, es geht in dieser Ausstellung ja um „Espresso und mehr“ und was der Gedanken an ein kräftig aufmunterndes Getränk noch so alles stimulieren kann… und sei es in Kombination mit weiteren Zutaten wie Kaffeebohnen, Kaffeefiltern und den Spuren, die eine Kaffeetafel auf der Tischrecke hinterlässt. Die hat Helga Reimann übrigens gleich vorn an der Theke arrangiert: Mit den munter umtriebigen dunklen Kreisen die fröhlich durch den Bildraum kullern.
Wir begegnen hier dem Dialog der Künstlerin mit ihren Materialien auch noch unter ganz anderen thematischen und künstlerischen Aspekten. Etwa beim Blick auf diese mobilen Motive und ihre beflügelnden Formen, die mit jeder Bewegung anders Gestalt annehmen. oder dann auch angesichts dieser Arbeit, wo sich aus unzähligen Linien und vielfarbigen Spuren ein Gesicht abzuzeichnen scheint und wie es seine geheimnisvolle Unberührbarkeit behauptet.
Faszinierend ist auch diese Höhlenlandschaft, die den Betrachter in die Tiefe lockt und auf eine Wanderung, die nicht ins Dunkel führt sondern in lichte Räume und Katakomben. Wo er dann auf archaisch anmutende Zeichen trifft, die an Höhlenmalereien erinnern, und auf leuchtende Farbkreise und ihre belebende Wirkung. Er kann sich allerdings auch treiben lassen von architektonisch anmutenden Motiven, wo sich die Farbräume und die Materialen aneinander reiben, um sich in immer neuen Wendungen zu verströmen und darin oft ganz unmittelbar berühren
Natürlich ist dabei nicht immer Kaffee im Spiel, weder als keine Prise noch als dickflüssiges Gebräu, selbst wenn der Titel der Ausstellung dazu verführt. Aber es geht dabei ja auch um assoziativ inspirierende Begegnungen mit Formen und Bewegungen und diese ganz besonderen Spannungsverhältnisse in Helga Reimanns Collagen und die auf sich wirken zu lassen. Die filigrane Geste ebenso wie die tänzerische Gebärde und dann diese malerischen und materiellen Unruheherde, in denen sich so manches Vertraute spiegelt.
Dazu gehört auch die Wanderung, zu der die Künstlerin uns im Eingangsraum einlädt, mit dem Triptychon, in das sie Motive von einem Aufenthalt in der Provence verwebt hat. Hier erscheinen die Materialien wie mit den Schauplätzen verwebt, so wie die Häuser, die da in felsiger Hanglage haften. Man spürt, dass das steinerne Geröll ihre Standhaftigkeit immer wieder gefährdet, das Helga Reimann hier als dunklen Malstrom imaginiert hat. Aber immer auch mit der Aussicht auf lichte Regionen und sonnige Farben, die das Leben unter schwierigen existenziellen Bedingungen wärmen.
Das verspricht auch die dunkle Gestalt, die sich daneben aus dunklen Materialströmen erhebt. Helga Reimann hat sie zur Kaffeegöttin erklärt, die den Betrachter hier ebenfalls mit einer Einladung empfängt: Auf einen „Espresso und mehr“ zum Staunen, Innehalten und Genießen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
Tina Fibiger
Hann.Münden, 20.April 2018
Ursula Schwerin vom Einbecker Blaudruck freut sich auf die Ausstellung mit Elke Wiegmann, Sabine Wentrup, Helga Reimann und Christa Paetsch-Mönkeberg (von links), die Kunst - Hängendes, Stehendes und Liegendes - auf dem Wäscheboden vorstellen wollen.
Das Festival wird in diesem Jahr im Fachwerk 5ECK die fünf Fachwerkstädte aus der Region Duderstadt, Einbeck, Hann.Münden, Northeim und Osterode vorstellen, Interesse wecken, Denkmäler öffnen, Wohn-Potentiale aufzeigen, vielfältige Kontakte und interessante Gespräche ermöglichen, tollen Künstlern eine besondere Bühne geben und die Besucher breitgefächert einmalig unterhalten.
Das Projekt - als Kultur- und Kunstfestival ausgerichtet - möchte Einwohnern und Gästen die Einzigartigkeit der historischen Altstädte im Fachwerk Fünfeck vermitteln und deren Aufmerksamkeit auf bislang unsanierte, ungenutzte und verlassene Baudenkmäler lenken. Ziel ist dabei, das Interesse zu wecken und Initiativen zu entwickeln, um einer Nutzung geschichtlicher Bausubstanz einen initialen Anstoß zu geben.
Vier Dransfelder Künstlerinnen sind von der Jury ausgewählt. Sie werden diesmal nicht wie 2013 in Hann.Münden dabei sein, sondern in Einbeck. Sie werden in der Festivalzeit vom 29. September bis zum 8. Oktober auf dem Trockenboden des Blaudruckhauses ein zweiteiliges Programm zeigen. Neben einem Teil der viel beachteten Ausstellung „Engel und mehr“ zum 75. Todesjahr von Paul Klee Ende 2015 in der Torhausgalerie werden sie der Atmosphäre des Fachwerkboden Rechnung tragen.
Die Einbecker Morgenpost hat bereits am 30. Juni eine Vorankündigung darüber veröffentlicht mit Text und Bild der Redakteurin Edith Kondziella:
»Das, was wir gesucht haben«
DKKD-Festival: Künstlerinnen aus Dransfeld auf dem Blaudruck-Boden
Einbeck. Hängendes, Stehendes und Liegendes wollen sie auf dem alten Wäscheboden neu sortieren. Im Rahmen des »Denkmal!Kunst – KunstDenkmal!«-Festivals (DKKD), das in den Städten des Fachwerk-Fünfecks - und somit auch in Einbeck - vom 29. September bis zum 8. Oktober stattfindet, zeigen Künstlerinnen vom Dransfelder Kunst-Werk ihre Arbeiten auf dem Trockenboden des Einbecker Blaudrucks am Möncheplatz. Sie haben sich jetzt vor Ort mit Ursula Schwerin vom Einbecker Blaudruck umgesehen und die Ausstellung geplant.
Erfahrungen konnten die vier Künstlerinnen aus Dransfeld bereits beim DKKD 2013 in Hann.-Münden sammeln, wo sie im Packhof ausgestellt haben. Alte Gebäude und Kunst, das passt für sie bestens zusammen. Und hellauf begeistert sind sie von diesem Boden, wie sie ihn beim Einbecker Blaudruck in der Etage über der Blaudruck-Werkstatt im alten Fachwerkhaus vorgefunden haben. Etwas umgestalten für ihre Ausstellung wollen sie gar nicht: »Boden bleibt Boden. Das ist genau das, was wir gesucht haben.«
Malerei - Skulpturen - Textilkunst
von
Christa Paetsch-Mönkeberg
Simona Borchers
Uta Maria Müller
Helga Reimann
Sabine Wentrup
Elke Wiegmann
Petra Meirich
Silvia Schmidt
Mündener Künstlerhaus
19.-28. Mai 2017
Die Buchstaben des Alphabets
werden in 24 Acrylcollagen dargestellt.
Passende Motive ergänzen die Gestaltungen aus dem Atelier EigenART.
Vernissage am 18.11. um 17 Uhr
Einführung: Tina Fibiger
Kulturjournalistin
Finissage am 30.11. um 17 Uhr
Helga Reimann „ABC in Farben und Strukturen“
Zur Eröffnung der Ausstellung im Künstlerhaus Speckstraße
Meine Damen und Herren, herzlich willkommen im Künstlerhaus Speckstraße,Wörter sind so schön handlich, wenn es um das Verstehen und die Verständigung geht. Buchstaben führen dagegen eher ein Eigenleben. So aus dem Alphabet heraus gefischt, müssen sie ja erst mal sinnvoll mit einander in Beziehung gesetzt werden, bis sie einen Sinn ergeben. Dann mag sich noch die Frage der Lesbarkeit stellen… ob sie mit der Hand flüchtig
gekrakelt werden oder ganz manierlich aneinander getastet ein Schriftbild bilden, in dem Sinn und Form zusammenfinden. Das ABC hält unzählige Buchstabenkombinationen bereit; eindeutige und mehrdeutige …wie eine verbale Schatzkiste, in der es unablässig blitzt und funkelt. Erst recht wenn sich die Fantasie noch einmischt, die fertigen Worte mit weiteren Bedeutungen versieht, sie assoziativ beflügelt oder gedanklich auch ganz anders erdet. Schon ein einzelner Buchstabe, der zufällig oder absichtlich am falschen Platz gelandet ist, kann dann wunderbar inspirierende Verwirrung stiften… eine kleine Sinn-turbulenz erzeugen und wiederum ganz andere Buchstaben anlocken.Für Wortakrobaten und Sprechkünstler klingt das schon sehr verführerisch. Und wenn sich dazu noch Farben und Formen gesellen wie in den Arbeiten von Helga Reimann, wird es erst recht aben-teuerlich, assoziativ, inspirierend. Es braucht dazu ja nicht einmal ein fertiges Wort,das durch irgendein Schriftzeichen oder einen Laut aus seiner Satz-und Sinnbahn geschubst wird. Da genügt schon ein einzelner Buchstabe.
Man kann getrost weiter auf die biblische Offenbarung vertrauen. Am Anfang war das Wort. Aber ein aufmunterndes „von wegen“ sei in diesem Fall erlaubt. Am Anfang war ja eigentlich der Buchstabe, der sich dann munter vermehrte bis daraus das vertraute ABC wurde, das uns in Sinn- und Verständnisfragen weiterhin Rätsel aufgibt. Aber selbst ein schlichtes B, F oder M für sich bietet schon eine Menge an Einsichten und Ansichten und weitere Rätselhaftigkeiten
Buchstaben haben einen Körper mit Rundungen, Ecken und Kanten. Sie können vielerlei Gestalt annehmen und das macht sie auch zu einem reizvollen künstlerischen Sujet.
Helga Reimann hat sie für ihr ABC in Farben und Strukturen von einer Bilddokumentation der NASA anstiften lassen. In den Aufnahmen von Landschaften und Häuserschluchten, Gebirgszügen und Wasserflächen fanden sich überall Spuren von Schriftzeichen, wie sie eben auch die Natur abbildet. Der Krater, der an ein V erinnert oder der Flusslauf, der ein S nachzeichnet. Und so forschte die Künstlerin auf der Leinwand nach weiteren schöpfe-rischen Verbindungen, die ein einzelner Buchstabe auszulösen vermag. Zunächst als ABC der Farben, wo sich dann zum O die Farbe Ocker gesellt und zum E das Englischrot und die assoziative Spurensuche auf der Leinwand Gestalt annahm. Auch Materialien wie Holz, und Metall kamen dabei zum Einsatz, Pflanzenfasern und Stoffreste, die Zeichen setzen für Wort- und Gedankenspiele.
Was da so alles mitspielen kann, um kreatives Leben in einen Buchstaben zu bringen, zeigt sich zum Beispiel am Buchstaben K, wo Helga Reiman mit dem Initial eine sehr vergnüg-liche Collage gestaltet hat. Aus der Verbindung Kaffee und Kuchen kullerten spontan die Körner und der Gedanke an Kaffeesatz. Also landeten Espressobohnen auf der Leinwand, die sich an die Farbe Krapprot halten. Und weil man bei K auch an Kitsch denken kann, schlängeln sich die dunklen Rottöne wie ein verziertes Platzdeckchen durch Helga Reimanns Kaffee-, Sahne-, Tortentableau.
Ausgangspunkt für jede Buchstabenkreation ist das passende Farbton Initial. Also taucht Helga Reinmann das Meer um die Insel Panama in Pink und gönnt dem Zeichner Janosch und seinen Figuren ein kleines Schauspiel auf der Leinwand. Ebenfalls auf eine sonnige Inselwelt lockt der Buchstabe J mit seinen Jamaikafarben, wo das Acryl in sonnig leuchten-den Tönen mäandert und der Buchstabe mit den sanft fließenden Konturen einen Jazz-musiker umhüllt, der mit seinen Tönen beschwingt.
Zwischen den Tonfarben sind die musikalischen Motive in diesem ABC sehr umtriebig. Und das nicht nur weil Klangfarben und Farbklänge sich immer wieder sinnlich berührend verständigen und auch rhythmisch Stimmung machen.
Beim Buchstaben Q standen sie Helga Reimann sogar hilfreich zur Seite, die jetzt nicht einfach die Farbe Quittengelb erfinden wollte, sondern seine rundliche Form öffnete, dabei an Johann Joachim Quantz dachte, und seine Flötentöne hinein komponierte. Wie sie weit ihre Flügel ausspannen und dabei beflügeln… Neben dem Komponisten und Flötenlehrer Friedrichs des Großen gönnt sie mit Dr. Eisenbart einer weiteren regionalen Berühmtheit ein malerisch assoziatives Heimspiel mit stilvollem Englischrot und Elfenbein.Nicht jeder Buchstabe findet sich in einem heiteren oder idyllischen oder Bildkontext wieder, wo sich mit Cyanblau und Chrysanthemen eine malerische Traumwelt entfaltet und das Lila, mit Lavendel und Luftballons ein berührendes Blütenrelief bildet. Über das F strömen die feurigen Fingerfarben, in denen sich eben auch zerstörerische Energien assoziativ mitteilen. Es sind keine Gedanken an Freiheit oder Frieden, die die Bilderzählung aufkommen lässt. Schon eher die an Flüchtlinge und deren Heimatländer, die nun politisch in Flammen stehen. Auch mit dem R verbindet sich auf der Leinwand ein Panorama der Zerstörungen und der Verwerfungen aus Rot und Rund und Rost.
Helga Reimann hat ihre Collage mit armenischen Schriftzügen verwebt, die nicht nur die Erinnerung an den Genozid eines Volkes anmahnen und die Geschichtsverweigerung auf türkischer Seite sondern auch die Hinterlassenschaften der sowjetischen Besatzer. Rostige Eisenspäne und Wellblech sind die Chiffren für marode Industrieanlagen, die ganze Landstriche verwüsteten, für die Ausbeutung von Bodenschätzen und und besonders für die von Menschen. Selbst wenn sich diese Arbeit vielleicht nicht so einfach entschlüsseln lässt, so demonstriert sie zugleich die vielen Lesarten die ein einzelner Buchstabe verkörpern kann, wenn er auf der Leinwand Form und Gestalt annimmt und sich dabei ein Gedanken- und Empfindungsraum öffnet.
In diesem Sinn wird besonders der Buchstabe G zu einer ganz besonderen schöpferischen Quelle, weil hier das gestalterische Element in Helga Reimanns ABC Galerie unmittelbar anspricht. Es ist die fließende Bewegung, diese geschwungene Geste, die sie im Fluss von Gelb und Grün eingebettet hat, um dann mit dem Gesicht von Marlene Dietrich zu irritieren. Das hat sie aus der ersten Ausgabe der ZEIT collagiert, nach dem 70jährigen Jubiläum der Wochenzeitung, als die Aufnahme noch einmal abgedruckt wurde… Das Gesicht, symbolisch auch für das, was sich mit Gedanken an den Fluss der Zeit und seine Veränderungen verbindet, dass sie immer auch Spuren hinterlassen, die im Nachhinein bewegen.
Auch das S ist so ein bewegender Buchstabe und hier dem G fast anverwandt in seinem fließenden Gestus, als ob er dabei auch die Spuren von Sand und Steinen antreibt, die Helga Reimann mit der Farbigkeit von Sienatönen aufraut und berührbar werden lässt. Anders als in vielen Ausstellungen sind ihre Arbeiten auch zum Anfassen und zum Nachspüren von Motiven und ihrer Vielschichtigkeit. So wie das Blattwerk , das die Braun- und Beigetöne streift und nicht nur etwas von der kraftvollen Gestalt des Buchstaben B widerspiegelt sondern auch von seinen harmonischen Rundungen. Eine ähnliche Wirkung entfaltet sich mit dem D, wo die Künstlerin mit Dottergelb und Dunkelbraun ihre assoziative und gedankliche Spurensuche aufnahm und dabei auch die poetischen Töne aus einem Gedicht von Hermann Hesse vernahm.
Natürlich haben diese runden weichen ABC Vertreter eine andere Anmutung als ihre eckige, kantige Nachbarschaft. Bei so einem offenherzigen V findet sich sogar ein Gräsernest und lockt die Vögel herbei. Das I wirkt dann auch nicht mehr so säulenhaft stoisch, wenn
darüber ein Punkt zwischen Indischgelb und Indigo von Insekten umschwärmt wird. Umso mehr spitzt sich nun das A zu, in dem ein Auge seine besondere Verletzlichkeit offenbart. Und ob das H wirklich Halt findet, obwohl es in Gestalt eines Letters mit seinen zwei Bal-ken und der Verstrebung fast wie ein solides Stück Handwerkskunst anmutet….Trotz Holz-beize und Hölzernem hat sich Helga Reimann schon ziemlich bald von dem Gedanken an eine stabile Form abgewandt, auch weil das Material seine eigenwillige kreative Wirkung entfaltete. Und siehe da, Ernie und Bert aus der Sesamstraße machen sich jetzt einen munteren Reim auf das, was beim Halten ins Wackeln gerät oder in eine fröhliche Schief-lage.
Jeder Buchstabe hat die Künstlerin auf ihre Weise beflügelt, auf dass Sie sich als Betrachter jetzt ihren eigenen ganz persönlichen Reim machen können und dabei immer auf andere Assoziationen und Gedanken treffen… oder wie in einem Rätsel nach einer passenden Verknüpfung suchen und vielleicht auf einen ganz unerwarteten Bedeutungsraum treffen, den hier ein Buchstabe mit seinem Körper erschließt.
Natürlich hilft ihnen Helga Reimann auch beim T zunächst mit Terrakotta farblich auf die Sprünge, aber dann haben sie an diesem Trio Titel-Thesen Temperamente zu knabbern, denken zunächst vielleicht an das Fernsehmagazin und lassen sich so von der Künstlerin auf eine kulturpolitische Fährte locken oder eben ganz woanders hin. Im dem Triumvirat aus X, Y und Z spürt Helga Reimann auch Sinn und Seinsfragen nach… der symbolischen Bedeutung der Zeichen, die eben auch Anfang und Ende verkörpern können oder Leben, Tod und Auferstehung in ihren religiösen Dimensionen. Hier schließt sich mit dem Z und diesem schwer fassbaren Begriff Zeit auch ein Kreis, weil Helga Reimann dabei an die Anfänge ihrer Feldforschung mit dem ABC in Farben und Strukturen zurückkehrt. Was die Präzisionskamerafahrten der NASA nämlich nicht aufzuzeichnen vermochten, sind die blutigen Spuren, die den Globus zunehmend markieren und nun auf der Leinwand auch die Buchstaben mit einem aggressiven Zinnoberrot einfärben. Da möchte man sich natürlich lieber von dem bewegenden W wie auf einer weißen Welle zwischen Wald und Wasser treiben lassen oder nach dem U Ausschau halten, wie es hinter dem Bild der Insel Usedom hervor lugt. Aber schließlich geht es in dieser Ausstellung auch darum, sich von den vielen Ansichten, Einsichten und Aussichten bewegen zu lassen, die in diesem ABC anklingen… sich dabei Licht und Schattenseiten bewusst zu machen. Auch weil Helga Reimanns ABC immer wieder dazu ermuntert, zwischen den Buchstabenassoziationen, den Schauplätzen und den bewegenden Bedeutungen hin und her zu wandern… Wie sie jetzt auf der Lein-wand aus der Reihe tanzen, auf jede Form von ordnender Grammatik verzichten und dann so wunderbar inspirierend und nachdenklich beleben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Tina Fibiger
Hann. Münden, 18. November 2016
Betritt man den Stadtfriedhof am Eingang der Kasseler Landstraße in ummittelbarer Nähe des Jüdischen Friedhofes, fallen beidseitig des Weges zwei Backstein-Gebäude
auf, die auch als Torhäuser bezeichnet werden. Während das stadtauswärts gelegene Haus vor einigen Jahren verkauft wurde, befindet sich das andere noch in städtischem Besitz und soll schrittweise
zu einem Ausstellungs- und Informationsstandort entwickelt werden.
Das Konzept: Beim damaligen Leiter des Grünflächen-amtes, Norbert Mattern, entstand die Idee, das leer stehende Gebäude zukünftig als
Ausstellungsraum herzurichten und vorwiegend für sakrale Kunst zu nutzen. Mit einem Kostenaufwand von rund 21.000 Euro für Installationsarbeiten, Erneuerung der Heizung und Innenanstrich wurde
ein großer zusammenhängender Ausstellungsraum geschaffen, der seitdem temporär zur Präsentation von künstlerischen Objekten genutzt wird. Es entstand
die „Torhaus-Galerie“.
www.goettingen.de/friedhoefe
Pressemeldung zur Ausstellung „Engel...und mehr“ in der TORHAUS-GALERIE am Stadtfriedhof vom 4. - 20. Dezember 2015
Eine Hommage an Paul Klee:
Engel in der TORHAUS-GALERIE
Eine Hommage an Paul Klee anlässlich seines 75. Todesjahres soll die Ausstellung „Engel…und mehr“ sein, die drei Künstlerinnen vom Dransfelder Kunst-Werk ab Freitag, 4. Dezember, in der TORHAUS-GALERIE am alten Stadtfriedhof zeigen.
Mit Acrylmalerei und Collagen hat sich Helga Reimann dem gut zur Vorweihnachtszeit passenden Thema genähert, während Sabine Wentrup es in Patchwork-Arbeiten und Quilts aufgreift. Skulpturen aus Holz und Stein von Elke Wiegmann komplettieren die liebevoll zusammengestellte Engel-Präsentation, in der die Erinnerung an den Malerpoeten Paul Klee (1879 – 1940) wachgehalten wird. Vor allem in seinen letzten Lebensjahren, die von einer unheilbaren Krankheit überschattet wurden, hat der Schweizer Künstler immer wieder Engel gemalt, die sowohl etwas Schwebendes als auch Erdverbundenes, schalkhaft Fröhliches und zugleich Ahnungsvolles haben.
Die Ausstellung wird am 4. Dezember um 17 Uhr mit einer feierlichen Vernissage eröffnet. Die Kulturjournalistin Tina Fibiger wird in die Ausstellung einführen, musikalisch begleitet von der beliebten Folklore- Chansonsängerin Angelika Campos de Melo. Zu sehen sind die Werke der Künstlerinnen bis Sonntag, 20. Dezember, jeweils freitags, sonnabends und sonntags in der Zeit von 15 – 17 Uhr . Als vorweihnachtliches Begleitprogramm gibt es während der Ausstellung zwei Vorträge:
Am So., 13.12.15, 17.00 Uhr „Engel in der Kunst“ von Religionsphilologin Konstanze Schiedeck, Göttingen und am 4. Adventssonntag, 20.12.15, 17.00 Uhr zum Abschluss der Ausstellung „Engel-was sagt die Bibel dazu? Und was bedeutet das für den christlichen Glauben?“ von Dr. Wolf Dietrich Berner, Superintendent i.R., Dransfeld.
Engel… und mehr…
Zur Eröffnung der Ausstellung in der Torhaus-Galerie
Herzlich willkommen, meine Damen und Herrn, in der Torhaus-Galerie bei den Engeln
Für jeden von Ihnen bedeuten Engel etwas. Das muss nicht gleich in die Metaphysik ab-gleiten oder in Glaubensfragen über Götterboten und himmlische Heerscharen. Gerade in der Vorweihnachtszeit machen sich ja Engel auch wunderbar dekorativ als niedliche Wesen in Schokolade gegossen und als Lebkuchen verbacken, schmusig und pausbäckig verkitscht. Aber hinter dem dekorativen Aufgebot lauert eben auch noch etwas anderes, die Vorstel-lung von der sich auch die größten Engel Skeptiker nicht so ohne weiteres lösen können: Dass es doch eigentlich ganz schön wäre, wenn es diese mehrheitlich wohlmeinenden Geister gäbe, die einem beschützend zur Seite stehen, selbst wenn sie nie so richtig fassbar sind. Es sei denn, dass sich Künstler ans Werk machen und die vielen diffusen Vorstellun- gen von Engeln und ihren symbolischen Schwergewichten. visualisieren. Wenn sie daran nicht nur ihre heimlichen Wünschen, Metaphern und Projektionen abarbeiten sondern auch die der Betrachter.
So sind die Engel. Sie ähneln uns in vielem,
Sie lesen Zeitung, schauen Nachrichten,
Aber sie vertrauen auf die Flügel der Welt
Auf eine Art, wie es heutzutage keiner von uns tut
Ich glaube Paul Klee hätte dieser Vers von David Constantine gefallen. So wie auch er diese luftigen Hoffnungsträger erdete und sie wie störrischeund gleichwohl inspirierende Weg-gefährten seiner Existenz betrachtet hat. Als Symbolgestalten, die in diesem existenziellen Schauspiel so ganz ohne Heiligenschein umtriebig sind. Nie so ganz perfekt, manchmal eher überfordert in dem, was ihnen so an Ansprüchen zugemutet wird aber oft auch heiter, verspielt und leichtsinnig in Anbetracht all dessen, was ihnen zwischen Himmel und Erde widerfährt. Bei Klee dürfen sie stöhnen und schwächeln, sind auch mal gram gebeugt und geraten in Bedrängnis, um danach wieder abzuheben. Was immer sie auch gerade
beflügelt, während die Dinge weiterhin ihren absurden oder kuriosen schwer fassbaren Verlauf nehmen.
In der Torhaus-Galerie kommt es traditionell am Ende eines Ausstellungsjahres zu einer inspirierenden Begegnung mit Engeln. Diesmal haben sich drei Dransfelder Künstlerinnen diesen beflügelnden Wesen gewidmet und mit einer weiteren Widmung versehen.
Die Arbeiten von Helga Reimann, Sabine Wentrup und Elke Wiegmann verstehen sich auch als Hommage an Paul Klee in seinem 75. Todesjahr. Im Dialog mit dem Werk und der Lebensgeschichte des berühmten Malers und Zeichners und den existenziellen Fragen, die seine Engelbilder ansprechen.
Die meisten Engelmotive Klees entstanden zwischen 1938 und 1940 in seinem Schweizer Exil. Sie werden vielfach als Ausdruck seiner damaligen Lebenssituation gesehen. Klee litt an einer extrem schmerzhaften Erkrankung des Bindegewebes, bei der sich die körperliche Motorik zunehmend versteifte und sich seine Hände klauenartig verkrampften. In den aktuellen Ausstellungen mit seinen schwarz-weiß Zeichnungen, die zuletzt in Hamburg und Essen zu sehen waren, heißt es dazu: „Als geflügelte Mischwesen, halb Mensch, halb Himmelsbote, repräsentieren sie eine Übergangsform zwischen irdischer und überirdischer Existenz, die dem aktuellen Bedürfnis nach Spiritualität entgegen kommt, zugleich aber auch die moderne Skepsis gegenüber Glaubensfragen reflektiert.“ Die Rede ist auch von Bitterkeit und Trauer, die in vielen seiner Werke aus dieser Zeit erkennbar werden.
Diese Sicht auf seine altklugen, vergesslichen und hässlichen Engel hat die drei Künst-lerinnen natürlich ebenfalls beschäftigt. Aber sie haben sich davon nicht zu einem tragi-schen Abgesang verleiten lassen, um sich stattdessen den lebendigen lebensbejahenden Kräften in den Arbeiten
eines kämpferischen Künstlers und Grenzgängers zu widmen.. Dem was Klee selbst über viele seiner Arbeiten sagte: Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder sondern Kunst macht sichtbar. Und in diesem Fall eben auch das das Bedürfnis nach symbolischen Helfershel-fern, die man jederzeit zu Rate ziehen kann, um mit ihnen zu träumen und zu imaginieren, immer wieder neu zu zweifeln und sich ab und an mal wie
über den Dingen schwebend zu fühlen. Gleich zu beginn dieser Ausstellung begegnen ihnen Klees umtriebige Gesellen in sonnigem Licht und leuchtenden Farben. Helga Reimann schöpft aus vielen belebenden Farbstimmungen, die die äußere Hülle durchdringen und dabei auch aus früheren Arbeiten von Paul Klee.
In den Silouetten rumort es wunderbar vielstimmig. Da werden Landschaften durchstreift, Städte und Lebensräume. Alles was Köpfe, Körper und Flügel an Bildern und Bewegtheiten bergen - zum Staunen und zum Wundern, aber auch um sich darüber zu erheitern, wie selbst diese Sinn- und Seinbeflügler ständig über alltägliche Fallen und Hürden stolpern, schwächeln oder einfach schief liegen, in dem was sie vielleicht bewegen könnten. Dann wirken sie auch so schön belebend uneindeutig. Die fröhliche Mimik des Schellenengels, in dem die Fantasie eines Clowns lauert.
Oder dann der Ausdruck des hässlichen Engels in der malerischen Nahaufnahme von Helga Reimann, als ob er auch ein bisschen über die Vorstellung spottet, dass Engel doch bitte eine sanfte Zuversicht ausstrahlen mögen, anstatt sich wie schräge Vögel zu gebärden.
Ich musste beim Anblick dieser Engelgalerie an Kinder denken, die sich manchmal Spielgefährten vorstellen, die außer ihnen niemand sieht. Mit denen reden sie dann über das, was sie bewegt und was ihnen Kummer macht oder wenn sie sich allein fühlen. Das ist genauso wenig verrückt wie die Selbstgespräche, die auch Erwachsene gelegentlich führen. Das Schöne daran ist, dass einem der imaginäre Gesprächspartner nur dann widerspricht, wenn man es ihm erlaubt. Mit Engeln verhält es sich vermutlich nicht anders, wenn man sie in ein Gedankenspiel verwickelt, bevor man sich wieder den profanen Tatsachen widmet, die einen meistens beschäftigen
Ich möchte noch einmal an die Zeilen von David Constantine anknüpfen und diese Engel, die uns in so vielem ähneln und doch mehr auf die Flügel der Welt vertrauen als wir. Dass sie mit dem schwer Fassbaren, was uns zeitlebens beschäftigt einfach abheben, immer wieder Bruchlandungen riskieren und sich erneut aufschwingen ist ja auch eine lebens- und vor allem liebenswerte Vorstellung, von der man sich beflügeln lassen kann.
Diese luftig leichte Vorstellung kommt in den Arbeiten von Sabine Wentrup ganz besonders zum Ausdruck. Klees Engel schweben in Seidenorganza, hinterlassen ihre Spuren in Stoffbahnen und auf vielfarbigen Quadraten. Und weil sie eben in ihrer beflügelnden, so schwer fassbaren Art oft so zart und dünnhäutig anmuten, gönnt ihnen die Künstlerin manchmal auch mehrere Lagen von Stoff und polstert ihnen eine watteweiche Umgebung.
Auch wenn sie nur als luftige Schimäre sichtbar werden, so als ob sie nur den Hauch einer Idee zu verkörpern mögen, nehmen sie die Gestalt einer schützenden Hülle an, frei schwebend nicht wirklich greifbar und darin umso berührender. Auch Sabine Wentrup verknüpft ihre textilen Assoziationen mit der malerischen Farbwelt Klees. Seine Engel mögen neben dem sanften schimmernden Einfärbungen und den Pastelltönen auch gern ein freches Pink, während die Künstlern ihren Flügeln ein Eigenleben in gelben, grünen und blauen Schattierungen gönnt. Schließlich beflügelt der gelbe Engel noch immer die Auto-Motorwelt, während sein blauer Kollege den Umweltschutz symbolisch bestärkt und die grünen Engel gern in Krankenhäusern beherbergt werden.
Auch flügellahm erscheinen die Engel in dieser Hommage an Paul Klee, Erdenschwer bedrängt und so fern von der Idee einer Leichtigkeit des Seins in einem glücklichen Sachwebezustand. Diesen wachsamen Gefährten des Künstlers, wie sie zweifelnd, tastend und nach Halt suchend auch die Erfahrung seiner Krankheit widerspiegeln, widmet
sich Elke Wiegmann in ihren Skulpturen. Die Flügel drängt es nach oben, Aber noch müssen sie einen verletzlichen Körper umhüllen oder eine verkümmerte Seelenlandschaft, die des besonderen Schutzes bedarf. Es sind Stimmen des sich lösen Wollens und des Aufbrechens, die die Künstlerin der Sprache der Steine entlockt. Mit Flügeln, die einen Körper wie eine Wand massiv umschlingen, so lange die innere Starre währt. Mit den Zeichen eines Gesichtes, das am Gewölbe seiner inwendigen Verzweiflung trägt und noch keine befreienden Kräfte aufbringt.
Wo Elke Wiegmann sich dann in beflügelnde Welt der Aus- und Aufbrüche begibt, entwickelt sich auch eine schöne Korrespondenz mit einem Motiv von Helga Reimann, die aus Klees „Fels der Engel“ die Form eines Korsetts destilliert hat. Aus der steinernen Hülle mit offenem Hals drängen die Bruchstücke heraus, als Torso und auch als schwere Körper, die es zu einer leichten und schwebenden Silouette mit Flügeln und vor allem mit intakten Gliedmassen drängt. Aus Sand- und Speckstein drängt die Bewegung, die den Flügel in eine sanfte Ummantelung verwandelt, der sich dem verwickelten Innenleben nicht länger sperrt. Außen- und Innenwelt finden zu einem Dialog über Zeitspuren, die die Künstlerin der steinernen Hülle als raue fleckigen Zeichen entlockt hat. Aus einem gekrümmten Körper lässt sie die Energie für den Prozess der Veränderung und Verwandlung für einen riesigen Flügel strömen, der die Form einer Muschel bekommen hat. Fast wie ein beflügelnder Echoraum, in den sie dann bei weiteren Skulpturen hinein gelauscht hat. Für diese Engelsgestalten, die nicht nur einander zu umarmen scheinen sondern noch ein drittes Wesen. Für die Idee von Geborgenheit, für die es manchmal eben Flügel braucht, um in dieses lebenswichtige Gebiet des Miteinanders vorzudringen. Da sind sie wieder, die Flügel der Welt, auf die der Dichter David Constantine bei seinen Engeln vertraut. Dass sie immer irgendwie und irgendwo bei uns sind und dass ein bisschen was von ihnen auf uns abfärbt, das den Alltag beflügelt und die Fantasie. Bei den drei Künstlerinnen hat es gewirkt. Und das nicht nur im Sinne dieser wunderbar einfühlsamen und feinsinnigen Hommage an Paul Klee. Ihre Arbeiten lassen Niemanden unberührt. Ob er nun an Engel glaubt oder nicht und sich dann vielleicht auch dem lyrischen Bild von David Constantine anschließen mag.
Es ist so leicht, einen Engel zu missbrauchen.
Sie zeigen ihre Gesichter so ungeschützt wie Blinde.
Sei zuvorkommend. Sie erwarten es. Denn genau das
Ist das Geschenk der Engel, die unsereins besuchen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Tina Fibiger
Göttingen, 4. Dezember 2015